Wissenschaftliche Bewertung der Wirkmechanismen und klinischen Evidenz der Craniosacralen Therapie (CST)

Dies ist ein Text von Dr. rer. medic. Heidemarie Haller zum aktuellen Forschungsstand in Bezug zur Craniosacralen Therapie, den wir hiermit gerne allen zur Verfügung stellen. An dieser Stelle möchten wir uns herzlich bei Dr. rer. medic. Heidemarie Haller für diese Ausarbeitung (pdf) bedanken.

In dieser wissenschaflichen Bewertung der Wirkmechanismen und klinischen Evidenz der Craniosacralen Therapie kommt sie zu folgendem Schluss:

Zusammenfassend ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis der Anwendung von CST durch zertifizierte Therapeuten bei verschiedenen chronischen Erkrankungen als positiv zu bewerten. Insbesondere für chronische Schmerzzustände deutet Level-1-Evidenz auf mittlere bis große Effektstärken der CST – nicht nur direkt nach der Intervention, sondern auch bis zu 6 Monaten später. Darüber hinaus sind die Effekte der CST als spezifisch anzusehen und nicht ausschließlich durch Placebo-Reaktionen oder Effekte aufgrund unspezi­fischer Behandlungsmechanismen erklärbar. Vorübergehende Nebenwirkungen treten nicht häufiger als bei herkömmlichen physiotherapeutischen Verfahren auf. Bei professioneller Anwendung sind schwerwie­gende unerwünschte Ereignisse sehr selten bis nicht vorhanden. Die CST kann daher als eine spezifisch wirksame Behandlungsoption bei akuten und chronischen Krankheitsbildern im Kindes- und Erwachsenen­alter angesehen werden, die ergänzend oder integriert in die schulmedizinische Versorgung eingesetzt werden kann.

Was ist evidenzbasierte Medizin?

Der Begriff ‚Evidenz‘ leitet sich von dem englischen Wort ‚evidence‘ ab, welches Beleg oder Beweis bedeutet und im medizinischen Kontext als Wirksamkeitsnachweis einer Therapie verstanden wird. Das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin definiert Evidenz als Nachweise aus klinischen Studien, die die Wirksamkeit einer Therapie erhärten oder widerlegen (EBM, 2011). Die ursprüngliche Definition, die auf den Vater der evidenzbasierten Medizin, David L. Sackett, zurückgeht, empfiehlt hingegen ausdrücklich eine Thera­pieentscheidung nicht nur auf Basis klinischer Studien (externe Evidenz) zu treffen, sondern ebenfalls die klinische Erfahrung des Behandelnden sowie die individuelle Präferenz der Patienten heranzuziehen (Sackett et al. 1996).

1. Evidenz zu Patientenpräferenzen: Nutzen der CST in Europa und den USA

  • Studien aus den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich berichteten über die Anwendung der CST bei Patienten mit Muskel-Skelett-Erkrankungen im Rücken- und Nackenbereich, bei Migräne, Kopf­­schmerzen, Schwindel, Tinnitus, Magen-Darm-Beschwerden und stressbedingten wie psy­chi­schen Symptomen u.a. Angstzuständen und Depressionen (Harrison et al., 2011; vonPeter et al., 2002).
  • Weitere internationale Untersuchungen ergaben, dass CST häufig von Eltern zur Behandlung der Beschwerden ihrer Kinder eingesetzt wird. Die höchsten Anwendungsraten werden für neurologische Erkrankungen im Kindsalter berichtet, gefolgt von respiratorischen, onkologischen, allergischen und gastroentero­lo­gischen pädiatrischen Indikationen (Hurvitz et al., 2003; Low et al., 2008) sowie Autismus-Spektrum-Störungen (Höfer et al., 2019).
  • In der deutschen Primärversorgung nutzten Patienten und Eltern von Kindern die CST zu präventiven und therapeutischen Zwecken bei insgesamt 114 verschiedenen ICD-Diagnosen (Haller et al., 2021). Zu den positiven Prädiktoren der Symptomveränderung nach CST gehörten die Erwartungen der Patien­ten an die Wirksamkeit der Behandlung und die langjährige Erfahrung der CST-Therapeuten, negative Prädiktoren waren die Symptomdauer und das Alter der Patienten, ein fünfter kategorischer Prädiktor war die Art der CST. So scheint CST wirksamer, wenn die Erwartungen der Patienten an deren Wirk­samkeit höher sind. Diese, zu den Placeboeffekten zählenden Mechanismen sind bei allen Arten von (nicht-)pharmakologischen Therapien vielfach untersucht und sollten als „positive Zusatz­effekte“ in der klinischen Versorgung „bewusst eingesetzt werden“ (Breidert & Hofbauer, 2009). Dass eine lang­jährige Erfahrung der Therapeuten sowie eine kürzere Symptom­dauer bzw. ein nied­rigeres Alter des Patienten zu höheren Effekten der CST führen (Haller et al., 2021), erscheint der klinischen Erfahrung nicht widersprüchlich – ebenso wenn neben strukturellen und biodyna­mischen Techniken auch solche CST-Techniken eingesetzt werden, die das emotionale und mentale Erleben des Patienten einbe­ziehen.

2. Evidenz zu klinischer Expertise: CST aus ärztlicher Sicht

  • Insgesamt 69%  der US-amerikanischen Ärzte, die Kinder wegen einer Krebserkrankung komplementär­medizinisch mitbehandeln, verordneten einer Befragung zufolge CST (Psihogios et al., 2019). Damit rangiert CST unter den Top 5 der Therapien, die zur unterstützenden Krebstherapie bei Kindern von diesen Ärzten empfohlen werden.
  • In der Schweiz ist das Angebot von CST durch komplementärmedizinische, nicht-ärztliche Therapeuten gesetzlich verankert und wird von privaten Krankenversicherungen zusammen mit anderen komple­men­tärmedizinschen Therapien wie Shiatsu, Akupunktur oder Reflexzonenmassage usw. erstattet (Barth et al., 2020).
  • Zudem entwickelten britische NHS-Krebszentren (Gage et al., 2009) und Schweizer psychiatrische Uni­ver­sitäts­­kliniken (Stocker, 2009) integrativmedizinische Behandlungskonzepte, die CST als festen Bau­stein in die konventionelle ambulante wie stationäre Versorgung implementiert haben.

3. Externe Evidenz: Die Untersuchung von CST in Grundlagenforschung und klinischen Studien

3.1. Biologische Plausibilität der CST-Mechanismen

Zur Beweglichkeit der Kopfknochen:

  • Green et al. (1999) publizierten die erste wissenschaftliche Überprüfung und kritische Ausein­ander­setzung mit Evidenz der CST innerhalb eines Health Technology Assessments (HTA) der University of British Columbia, Kanada. Auf der Grundlage von 9 unabhängigen, histologischen Studien (Todd, 1924;
  • Greenman, 1970; Baker, 1971;Frymann, 1971;Hubbard 1971; Kokich, 1976;Heifetz, 1981;Pitlyk, 1985;Kostopoulos, 1992) kamen die Forscher zu dem Schluss, dass menschliche Schädelknochen bis ins Erwach­senenalter beweglich bleiben. Jedoch wurden bis zum Jahr 1999 noch keine Studien durch­geführt, die zeigten, dass unsere Schädelknochen durch sanfte manuelle Techniken bewegt werden können. Der HTA konnte daher keine Aussage zu letzterem Punkt treffen.
  • Auch Rogers, 2007 kommt zu dem Schluss, dass die Beweglichkeit der Schädelknochen einen erheb­lichen Einfluss auf den intrakraniellen Druck hat – dies wurde durch Studien an Menschen und Tieren belegt, so die Autoren. Weitere Tierstudien zeigten (Downey, 2006), dass Schädelknochen durch manu­elle Techniken bewegt werden können, allerdings mit einem höheren Druck als dem, der üblicherweise in der CST Anwendung findet.
  • Bordoni et al., 2020 fassen in einer aktuellen Übersichtsarbeit die Evidenz zur Beweglichkeit der Kopfk­nochen und des Kreuzbeins zusammen. Weil knöcherne Strukturen immer auch durch fasziales Gewebe verbunden sind und Faszien auf sanftere Palpationen als Knochen ansprechen (Schleip et al., 2010), lässt sich die Beweglichkeit dieser Strukturen heute auch wissenschaftlich erklären.

Zur Existenz der craniosacralen Rhythmen:

Die Palpation des craniosacralen Rhythmus als diagnostisches Instrument:

  • Die Arbeitsgruppe um Guillaud et al. (2016) identifizierte 9 diagnostische Studien zur Reliabilität (Zuver­lässigkeit einer Messung) des craniosacralen Rhythmus. Gute Übereinstimmungs-Raten zwischen ver­schiedenen Untersuchern (Inter-Rater-Reliabilität) wurden in keiner der 9 Studien gefunden (Upledger, 1977; Wirth-Pattullo, 1994; Norton, 1996; Hanten 1998; Rogers 1998; Vivian, 2000; Moran, 2001; Sommerfeld, 2004; Halma, 2008). Die Übereinstimmung bei wiederholter Testung eines Untersuchers (Intra-Rater-Reliabilität) war hingegen in einigen Studien größer. Alle 9 Studien wurden von den Auto­ren als von methodisch geringer Qualität eingestuft, was die Aussagesicherheit der Ergebnisse ein­schränkt. Dies trifft auch auf die Aussage zu, dass die Inter-Rater-Reliabilität schlecht sei und somit die Diagnostik des Craniosacralen Rhythmus nicht reliabel. Zur Diskussion kann angemerkt werden, dass sich die Inter-Rater-Reliabilität für andere Diagnoseverfahren (z.B. DSM-IV zur Diagnostik/Abgrenzung verschiedener psychischer Störungen (Lieblich et al., 2015) oder körperliche Untersuchungen durch erfahrene Fachärzte zur Diagnostik/Abgrenzung verschiedener Wirbelsäulenpathologien als Ursache chron. Rückenschmerzen (van Tilburg et al., 2017) als ebenfalls sehr gering herausgestellt hat.

Die Palpation von Faszien mit geringem Palpationsdruck:

  • Studien, die die Remodelierung von faszialen Strukturen untersuchen, können ebenfalls dazu beitra­gen, die durch CST erzielten Effekte physiologisch einordnen zu können. Neben der breiten nozizep­tiven Innervation von Faszien (sie besitzen Rezeptoren für Schmerzreize) haben Studien auch niedrig­schwellige fasziale Rezeptoren nachgewiesen, die sehr sanfte pinselstrichartige Palpationen über mechano-sensorische Aβ-Afferenzen weiterleiten können (Schleip, 2003). Es ist daher möglich, dass auch eine sehr sanfte Palpationen der Faszien den Tonus von Myofibroblasten und quergestreiften Muskelfasern signifikant reduzieren (Schleip et al., 2010) und damit einhergehend eine erhöhte Schmerzwahrnehmung senken kann (Klingler et al., 2014).
  • Die Wirkungen cranialer CST-Techniken auf Schädelfaszien und Nervensystem könnten durch direkte anatomische Verbindungen subokzipitaler Muskulatur und Rückenmark-Meningen erklärt werden (Kahkeshani & Ward, 2012). Dabei scheint das sanfte Palpieren oberflächlicher Faszien ebenso tiefere viszerale Faszien und die Funktion innerer Organe zu beeinflussen, was wiederum die Spannung und den Schmerz von zervikalen Myotomen verringern kann (Arendt-Nielsen et al., 2008; Lomba & Peper, 2013). Spezifische fasziale Mechanismen wurden jedoch meist in vitro untersucht. In-vivo-Studien zu spezifischen craniosacralen Techniken sind selten (Minasny, 2009).
  • Interessanterweise zeigt eine neue Metaanalyse über randomisiert-kontrollierte Studien bei Patienten mit Spannungskopfschmerzen (Kamonseki et al., 2022), dass Therapien, die sanfte Palpationstechniken über einen längeren Zeitraum anwenden (wie CST, Myofascial Release, Positional Release Technik, Muscle Energy Technique) wirksam in der Reduktion der Schmerzintensität und -häufigkeit – im Gegensatz zu manipulativen Techniken, bei denen mehr Druck über kurze Zeiträume appliziert wird, die keine Effekte bei dieser Stichprobe zeigten.

Die Modulation des autonomen Nervensystems:

  • Da die sich Wahrnehmung von Stress und z.B. Schmerz gegenseitig bedingt (Linton, 2000), kann die Verringerung der dorsal-vagalen und sympathischen Aktivität (Porges, 2001) während und nach einer CST gleichermaßen zu einer dauerhaften Schmerzlinderung beitragen. Dies kann durch die Innervation faszialer Ruffini-Endungen von Aβ-Afferenzen (Schleip, 2003) sowie dermaler MRGPRB4-Rezeptoren von C-taktilen Afferenzen erklärt werden, die ausschließlich durch sanfte Berührungsreize, nicht durch noxische Stimuli, aktiviert werden (Vrontou et al., 2013). Bei Mäusen führte die pharmakogenetische Aktivierung dieser MRGPRB4-Rezeptoren zu anxiolytischen Effekten und Fellpflegeverhalten, welches nur bei ventral-vagaler Aktivierung gezeigt wird, wenn sich Mäuse sicher und entspannt fühlen (Vrontou et al., 2013).
  • Beim Menschen zeigten sanfte Berührungsreize bei typischer Hauttemperatur signifikant höhere Entladungsraten von MRGPRB4-C-taktilen Afferenzen als kühlere oder wärmere Stimuli und nur Reize  in Hauttemperatur wurden als angenehm und entspannend erlebt (Ackerley et al., 2014). Diese Art affektiver Berührung fördert soziale Bindungen (von Mohr et al., 2017), indem sie die ventrale Vagus­aktivität und die Oxytocin-Sekretion stimuliert, was wiederum die Ausschüttung von Stresshormonen und die sympathisch-physiologische Erregung reduziert (Porges, 2001).
  • Erste randomisiert placebo-kontrollierte Studien haben vergleichbare Effekte für spezifische CST-Tech­niken gezeigt. So konnte in einer Studie mittels Stillpoint-Induktion (Anhalten des craniosacralen Rhyth­mus) die Sympathikus­aktivität reduziert werden (Cutler et al., 2005), eine andere bestätigte während Stillpoint-Induktion im Vergleich zu einer Placebo-Behandlung signifikant erhöhte Alpha-Aktivität im EEG der Probanden (Miana et al., 2013).
  • Qualitative Interviewstudien deuten ebenfalls auf ventral-vagale Wirkungen von CST hin. Befragte Studienpatienten berichteten nach CST einfache Entspannungsreaktionen, die mit ruhiger Atmung und dem Gefühl von Ruhe verbunden waren sowie tiefere, meditative Phasen, die sie mit Worten wie erhöhter Achtsamkeit, Leichtigkeit und Gelassenheit assoziierten (Brough et al., 2014). Studien haben zudem festgestellt, dass eine tiefe Meditation im Gegensatz zu einfachen Entspannungsübungen signifikant größere Effekte im EEG und bezüglich Herzfrequenz, Atmungsamplitude und Hautleit­fähigkeit bewirkt (Tang et al., 2009). Entsprechende autonome Effekte mögen daher auch für die CST postuliert werden.
3.2. Klinische Wirksamkeit der CST

Nachweise für die spezifische Effektivität (engl. ‚efficacy‘) der CST über Placebo hinaus:

  • Studien zur Untersuchung der spezifischen Effektivität einer Therapie (d.h. den Wir­kungen, die eine Therapie von anderen Therapien unterscheidet und die zeigen können, dass eine Therapie mehr als nur unspezifische Therapie- und Placeboeffekte hervorbringt) erfordern eine adäquate Kontrollgruppe zur Messung der unspezifischen Therapie- und Placeboeffekte. Zu diesen unspezifischen Effekten gehören: Effekte der Erwartungen der Patienten an die Effektivität der Therapie oder ihre bereits gemachten positiven oder nega­tiven Vorerfahrungen mit der Therapie, Kontexteffekte des Therapie­settings wie Tageszeit, Raumausstattung, etc., die Aufmerksamkeit durch einen Therapeuten und dessen Empathiefähigkeit sowie Effekte, die durch Entspannung und Berührung im allgemeinen erzielt werden können. Wie bereits erwähnt sind diese unspezifischen Therapieeffekte in die klinische Anwen­dung unbedingt einzubeziehen (Breidert & Hofbauer, 2009), für die wissenschaftliche Erfor­schung spezifischer Wirkprinzipien ist eine künstliche Trennung spezifischer und unspezifischer Effekte jedoch unabdingbar. Für CST-Studien hat sich eine leichte Berührungsintervention als geeignete Kontroll­bedingung erwiesen, die zwar vergleichbare Körperstellen wie in der CST-Gruppe adressierte, jedoch lediglich oberflächlich berührte, ohne spezifische CST-Techniken anzuwenden, die auf eine Verän­de­rung des palpierten Gewebes zielten (Haller et al., 2014). Patienten, die keine Vorerfahrungen mit CST hatten, konnten in dieser Studie adäquat verblindet werden und bewerteten die Scheintherapie bezüglich ihrer Glaubwürdigkeit nicht signifikant schlechter als die richtige CST. Andere Formen der Placebo-/Scheinbehandlung, die keine manuellen Techniken beinhalteten, son­dern ausgeschaltete Gerätschaften (wie z.B. Ultraschall) verwendeten, sind  nicht adäquat verblindbar und eignen sich weniger für die Erforschung der spezifischen Therapieeffekte der CST (Curtis et al., 2011; Jäkel & Hauenschild, 2012).
  • Zwei randomisiert-kontrollierte Studien mit verblindeten Patienten mit chronischen Nackenschmerzen und lateraler Epicondylitis bestätigten signifikant höhere spezifische Effekte der CST im Vergleich zu einer manuellen Placebo-/Scheinbehandlung (Nourbakhsh et al., 2008; Haller et al., 2016). Beide Studien wurden von Guillaud et al., 2016 und Haller et al., 2020 als qualitativ moderat bis hochwertig bewertet. Die beiden Studien zeigten signifikante Effekte für folgende Endpunkte:
  • Kurzfristig nach Ende der CST für: Reduktion der Schmerzintensität in Ruhe und während Bewe­gung, Reduktion der einges­chränk­ten Funktionalität durch den Schmerz im Alltag und der allge­meinen Ängstlichkeit, Erhöhung der physischen Lebensqualität und der Körperachtsamkeit.
  • Längerfristige Effekte 3 bis 6 Monate nach Ende der CST für: Reduktion der Schmerzintensität in Ruhe und während Bewegung, Reduktion der eingeschränkten Funktionalität durch den Schmerz im Alltag und Erhöhung der physischen und psychischen Lebensqualität. 78% der CST-Patienten berichten anhaltenden Effekte der Schmerzreduktion von mindestens 20% ihrer ursprünglichen Schmerzintensität. Bei 48% der CST-Patienten halbierte sich die ursprüngliche Schmerzintensität langanhaltend.
  • Eine aktuelle Metanalyse (Haller et al., 2020) hat beide Studien noch einmal zusammen untersucht und gefunden, dass eventuelle Mängel der Studienqualität keinen signifikanten Einfluss auf die berichteten Effekte haben und diese als robust gegenüber dem Risiko für systematische methodische Verzerrungen angesehen werden können.
  • Wie oben bereits berichtet, ergaben zwei weitere randomisierte, placebo-kontrollierte Studien eine signifikante Überlegenheit der CST auf physiologischen Parametern des autonomen Nervensystems, die mit der Reduzierung der Sympathikusaktivität und erlebtem Stress assoziiert sind (Cutler et al., 2005; Miana et al., 2013).

Nachweise für die pragmatische Effektivität (engl. ‚effectiveness‘) der CST im Vergleich zu anderen Therapien:

  • Der HTA von Green et al. fand 1999 lediglich 7 Fallstudien über die Auswirkungen der CST patienten­relevante, klinische Variablen. Auf der Grundlage dieser Belege konnten keine Schlussfolgerungen über die Wirksamkeit der CST gezogen werden.
  • Zwei Jahrzehnte später veröffentlichten Haller et al., 2020eine Metaanalyse zur Wirksamkeit der CST auf chronische Schmerzen im Vergleich Placebo (siehe oben) und im Vergleich zu weiteren passiven und aktiven Kontrollinterventionen. Die Metaanalyse identifizierte 10 randomisierte kontrollierte Studien zu verschiedenen Schmerzerkrankungen wie Nacken- und Rückenschmerzen, Migräne, Kopf­schmerzen, Fibromyalgie, Epicondylitis und Beckenschmerzen. Während 4 Studien CST im Vergleich zu manuellen (Nourbakhsh et al., 2008; Haller et al., 2016) und nicht-manuellen (Castro-Sanchez et al., 2011;Mataran-Penarrocha et al., 2011) Placebo-/Schein­behandlungen untersuchten, um Aussagen zur spezifischen Effektivität abzuleiten, testeten 2 Studien CST im Vergleich zu anderen manuellen Thera­pien (Triggerpunktbehandlung und Massage) (Bialoszewski et al., 2014; Castro-Sanchez et al., 2016) und weitere 4 als Add-On zur Standardtherapie (Arnadottir et al., 2013; Elden et al., 2013; Hanten et al., 1999; Mann et al., 2012). Im Ergebnis war die CST im Vergleich zu anderen manuellen Therapien und als Add-On zur jeweiligen Standardtherapie in Bezug auf die Reduktion der Schmerzintensität und  der Beeinträchtigung der Funktionalität im Alltag sowie in Bezug auf die Verbesserung der gesundheits­bezogenen, physischen Lebensqualität signifikant überlegen. Die Effektgrößen reichten von kleinen bis zu großen klinischen, d.h. für den Patienten relevanten Effekten. Die Studienqualität bzw. die Bewer­tung des potentiellen systematischen Verzerrungsrisikos der Ergebnisse durch methodische Fehler der jeweiligen Studie variierte ebenfalls von geringem bis zu hohem Verzerrungsrisiko. Sensitivitätsanaly­sen zeigten jedoch keinen signifikanten Einfluss der Studienqualität auf die Studienergebnisse, so dass diese vor dem Hintergrund der noch kleinen Gesamtzahl an untersuchten Patienten als robust und damit generalisierbar interpretiert werden können. Eine neuere randomisierte Studie bei Schmerzen des unteren Rückens zeigt vergleichbare Effekte (Ghasemi et al., 2020).
  • Neben Untersuchungen zu chronischen Schmerzen gibt es weitere randomisiert-kontrollierte Studien, die die Wirkungen der CST untersuchten bei: Erwachsenen mit Asthma (Mehl-Madrona et al., 2007), Schülern mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (Sadeghi Amrovabady et al., 2013), Früh­ge­borenen (Raith et al., 2016) und Säuglingen mit Koliken (Castejon-Castejon et al., 2019).
3.3. Sicherheit der CST
  • Die systematische Übersichtsarbeit von Haller et al., 2020 untersuchte 681 erwachsene Patienten mit verschiedenen chronischen Schmerzdiagnosen und fand heraus, dass CST eine sichere Behandlungs­methode ist. Es wurden keine schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse berichtet. Zu den leichten, nicht-schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen, die vorübergehend auftraten und im Rahmen  der erwartenden Bandbreite jeder manuellen Therapie lagen, gehörten: eine vorübergehende Verschlech­terung von Symptomen wie Schmerzen oder Schwindel sowie Müdigkeit bzw. das Bedürfnis nach Ruhe unmittelbar nach der Therapiesitzung. Vergleichbare unerwünschte Ereignisse wurden auch in den Kontrollgruppen der analysierten Studien beobachtet, die entweder eine Placebo-/Scheinbehandlung oder eine andere manuelle Therapie erhielten.
  • Eine weitere in Deutschland durchgeführte Kohortenstudie mit 220 Patienten der Primärversorgung ergab, dass die CST bei Säuglingen, Kindern und Erwachsenen sicher ist und nur mit geringfügigen, aber keinen schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse einhergeht (Haller et al., 2021).
  • Eine weitere systematische Übersichtsarbeit untersuchte die Sicherheit von chiropraktischen, osteo­pathischen, physiotherapeutischen und craniosacralen Techniken bei Kindern und Säuglingen (Todd et al., 2015). Die Autoren kamen ebenfalls zu dem Schluss, dass die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen äußerst selten ist. Nach Angaben des Bundes­instituts für Arzneimittel und Medizinprodukte entspricht dies einer Eintrittswahrscheinlichkeit von       < 0,01 %, d.h. weniger als 1 Kind von 10.000 behandelten Kindern (BfArM, 2015). Todd und Kollegen berichten weiter, dass in der wissenschaftlichen Literatur insgesamt drei Todesfälle von Säuglingen im Zusammenhang mit manuellen Therapien berichtet wurden, davon ein Tod eines drei Monate alten Säuglings im Zusammenhang mit CST. In diesem Fall (Holla et al., 2009) war der Therapeut jedoch kein Physiotherapeut, Heilpraktiker oder Arzt und verfügte auch nicht über eine Zertifizierung durch einen nationalen CST-Verband. In dem Fallbericht werden die angewandten Techniken als "forced manipu­la­tions of the neck" beschrieben, die normalerweise in der CST keine Anwendung finden. Für den beschriebenen Fall schließen die Autoren (Todd et al., 2015) auch nicht aus, dass der Tod des Säuglings auf eine unbekannte, vorbestehende Grunderkrankung zurückgeführt werden könnte, aufgrund derer die angewandten manipulativen Techniken zum Tod führten. Ein Cochrane-Review (Dobson et al., 2012) und neuere randomisiert-kontrollierte klinische Studien (Castejón-Castejón et al., 2019;Wyatt et al., 2011; Raith et al., 2016) berichten hingegen über keine oder keine schwerwiegenden uner­wünschten Ereignisse im Zusammenhang mit cranialen oder craniosacralen manuellen Techniken bei Säuglingen und Kindern.

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